Heute ist es also so weit. Die „Friedberger Zeit“ beginnt. Im Haus herrscht Aufregung. Seit Tagen wird genäht und gebügelt oder ein Hut gebürstet. Im Zimmer von Moritz hängt ein neues Gewand, so heißt die Kleidung in der Friedberger Zeit und auch bei den Eltern hängt frisch gebügeltes. Heute findet ein Umzug statt. Ich machte mir schon Sorgen, dass wir aus dem Haus in eine andere Wohnung oder Haus ziehen würden. Moritz erklärte mir aber, dass sich bei diesem Umzug ganz viele Menschen in „Gewändern“ an einem Sammelpunkt treffen und dann gemeinsam von dort durch die Stadt auf den Marienplatz hinter das Rathaus laufen und da dieses Fest eröffnet wird, von dem Meister der Bürger oder Bürgermeister, wie dieser Mann auch immer heißt.
Ich war ja mal echt gespannt. Nachmittags wurde es hektisch im Haus. Da kam eine Frau in Moritz Zimmer mit Haube, langem Rock, Bluse und Mieder. Wer war denn das? Sie zupfte an meinem kleinen Moritz herum und irgendwie kam sie mir bekannt vor. Sie hatte die gleiche Stimme wie die Mama von meinem kleinen Menschen, doch sie hatte keine Brille auf. Moritz sagte plötzlich: „Mama, toll siehst du aus ohne Brille!“ und jetzt erkannte ich auch die Mama wieder. Sie meinte zu Moritz : „Ja, mein kleiner Schatz, Mamas Brille passt nicht in die Friedberger Zeit. Sie ist zu modern, deswegen trage ich heute Kontaktlinsen!“ Seltsam, dachte ich, was das wohl wieder sein sollte. Hoffentlich sieht die Mama dann auch alles.
Endlich waren alle eingekleidet und es war Zeit zum Sammelpunkt zu laufen. Na ja, ich könnte ja schweben, aber das geht ja nicht. Das wäre wohl sehr ungewöhnlich, wenn da plötzlich ein historisches gekleidetes Gespenst schwebt, das aussieht wie eine Meerjungfrau ohne Flossen.
Also zog ich es vor, auf Moritz Arm zu bleiben. Hoffentlich sieht mich kein anderer Geist, dachte ich und kuschelte mich an Moritz.
Wir gingen also aus dem Haus, als Moritz Vater eine Kiste auf Rädern mit einer Stange hielt. Da waren Kissen und Blumengirlanden drin. Ohweh, was war das denn wieder. „Schau mal Schatz, was Papa und Mama für dich gemacht haben. Da brauchst du nicht so viel laufen und du kannst besser auf deinen kleinen Fridolin aufpassen. Nun ja, was soll ich sagen….Moritz war begeistert. Nun, ich war irgendwie skeptisch. Ob das wohl alles gut geht?
Der Papa hob den kleinen Moritz in diese seltsame Kiste und Moritz hielt mich fest umklammert.
Es schien nicht unbequem zu sein und so dachte ich, mach einfach die Augen zu Fridolin und schlaf eine kleine Runde. Falsch gedacht. Wir fuhren ratternd und ruckelnd zum Sammelpunkt. Dort war es laut und es waren viele viele gewandete Leute dort. Moritz Eltern steuerten direkt auf eine kleine
Gruppe Menschen zu, die sie scheinbar kannten. Hocherfreut und laut wurden wir von diesen Leuten begrüßt. Alle bewunderten sich gegenseitig in ihren Gewändern und dann passierte es.
Moritz hob mich hoch und rief: „schaut mal, mein Fridolin hat auch ein Gewand.“ Ich wollte eigentlich aus der Kiste springen und davonschweben, denn ich fühlte mich absolut unwohl in dem Altstadtfest- bzw. Meerjungfrau-Gewand. Doch Moritz reichte mich seiner Mama. Von da an wanderte ich von Hand zu Hand. Jeder bewunderte mich und ich wurde sogar fotografiert. Na ja, dachte ich, so schlimm schien ich doch nicht auszusehen, wenn man mich unbedingt fotografieren wollte.
Jetzt ging es los. Ein paar Leute wiesen die historischen Gruppen (was immer das auch heißen sollte) auf ihre Plätze. Nach ohrenbetäubenden Schüssen der sogenannten Schützen ging es unter Musikgetöse los.
Moritz Papa zog die kleine Kiste vorbei an winkenden und Beifall rufenden Leuten, die klatschten und in ihre Begeisterung lautstark jubelten. Schließlich wurde ich richtig mutig und reckte meinen kleinen Körper über den Wagen, was zur Folge hatte, dass mich die Leute richtig zu sehen bekamen. Begeisterung machte sich breit. Ein kleiner Junge rief laut: „Seht mal, ein historischer kleiner Geist, oh wie süß!“ Letztendlich fiel ich vielen Leuten auf und war total stolz. Am liebsten wäre ich über dem Wagen geschwebt und hätte den Leuten zugewinkt, doch Moritz zog mich an meinem Geisterfüßchen wieder runter und drückte mich fest an sich. Na ja, ich glaube das war besser, denn wer weiß, wie das wohl ausgegangen wäre, wenn mich die begeisterten Leute hätten schwebend und winkend gesehen. So kroch ich zu Moritz und genoß meine neue Berühmtheit.
Jetzt fühlte ich mich plötzlich wohl in meinem Friedberger Altstadt-Gewand. Nun bin ich nicht nur ein Friedberger Schloßgespenst, nein….ich bin ein Friedberger!
